Rechtsstand: 01.01.2021

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Artikel 2

( 1 ) In der Gemeinschaft der Getauften, deren Haupt Jesus Christus ist, haben alle Unterschiede der Menschen ihre trennende Bedeutung verloren.
( 2 ) Die Evangelische Landeskirche in Baden achtet in ihren Ordnungen und in ihrem Handeln die Würde jedes einzelnen Menschen als Ebenbild Gottes.
( 3 ) Als missionarische Kirche verkündigt die Evangelische Landeskirche in Baden allen Menschen das Evangelium und lädt sie ein, sich am Gottesdienst und am kirchlichen Leben zu beteiligen.
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Literatur
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Winter, Jörg (2001): Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung mit kirchenrechtlichen Exkursen. 1. Aufl. Neuwied.
Winter, Jörg (2008): Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung mit kirchenrechtlichen Exkursen. 2. völlig neu bearbeitete Aufl. Köln.
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A. Vorgeschichte

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Mit der 14. Novelle zur Änderung der Grundordnung vom 26. April 2001 wurde in § 1 als Verpflichtung der Landeskirche der Satz eingefügt: »In ihren Ordnungen und ihrem Handeln achtet sie die Würde jedes Menschen als Ebenbild Gottes.«1# Er war das Ergebnis einer Diskussion über die Aufnahme von Bestimmungen mit grundrechtsähnlichem Charakter in die Grundordnung. Hintergrund waren Eingaben des Beirates der Gleichstellungsbeauftragten und des landeskirchlichen Beauftragten für Blinden- und Sehbehindertendienst.2# Die Landessynode hat sich damals auf die Aufnahme des allgemeinen Satzes über die Achtung der Menschenwürde beschränkt. Bedenken haben sich insbesondere im Hinblick auf die Normierung von Diskriminierungsverboten ergeben, weil sie in ihrer Auswahl als zu willkürlich empfunden wurden. Ebenso wurde die Grundordnung nicht als der richtige Ort für eine Verpflichtungserklärung angesehen, Frauen zum Zwecke der Verwirklichung ihrer Gleichstellung gezielt zu fördern.3#
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B. Grundrechte in der Kirche

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I. Allgemeine Problematik

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Bei der Frage, ob und welche Grundrechte in der Kirche gelten, ist zu unterscheiden zwischen der Bindung an die staatlichen Grundrechte und der Normierung von Grundrechten durch die Kirche selbst in ihrer eigenen Verfassung. Eine unmittelbare Bindung der Religionsgemeinschaften an die staatlichen Grundrechte besteht nach herrschender Auffassung nicht.4# Umso mehr stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit und Funktion der Gewährleistung von Grundrechten durch die Kirche selbst. Dazu ist Folgendes festzustellen: Im evangelischen Bereich galt es lange als herrschende Meinung, »daß es dem Wesen der Kirche und des evangelischen Kirchenrechts widerspricht, grundrechtliche Freiheiten in und gegenüber der Kirche zuzugestehen«5#. Erst in neuerer Zeit ist eine intensive Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen grundrechtlicher Gewährleistungen in der Kirche entstanden.6# Neben der grundsätzlichen Frage nach der Notwendigkeit innerkirchlicher »Grundrechte« besteht das Problem u.a. in der Auswahl der Tatbestände, die zu gewährleisten sind. Hinzu kommt, dass sich innerkirchliche Grundrechte in ihrer inhaltlichen Begründung und ihrer Funktion von den entsprechenden Gewährleistungen in einer staatlichen Verfassung grundlegend unterscheiden.7# Dennoch sind gemeinsame Wurzeln vorhanden, nicht zuletzt deshalb, weil die staatlichen Grundrechte – insbesondere das Gebot zur Wahrung der Menschenwürde in Artikel 1 GG – ihre tiefste Verankerung in der dem Menschen von Gott geschenkten und verheißenen Freiheit finden. Bei dem Gedanken der Positivierung innerkirchlicher »Grundrechte« geht es aber weniger darum, den staatlichen Grundrechtskatalog im Sinne von Abwehrrechten der Menschen gegen Eingriffe kirchlicher Gewalt in ihre persönliche Rechtssphäre zu rezipieren.
»Die Konzeption kircheneigener Grundrechte geht über eine rechtliche Interpretation als subjektive öffentliche Rechte des einzelnen in und gegenüber der Kirche hinaus. Die kirchlichen Grundrechte beziehen sich – wie vor allem W. Huber darlegt – auch auf die Aufgaben der Kirche, die Ziele kirchlichen Handelns und den kirchenrechtlich relevanten Gesamtstatus des einzelnen Gemeindegliedes und schließlich auch auf Verfahrensregeln, die den materiellen Rechtsstatus des Kirchengliedes gewährleisten und schützen.«8#
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II. Vorschlag Wolfgang Huber

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Wolfgang Huber hat im Blick auf die grundsätzlichen Strukturentscheidungen der Kirche folgenden Katalog aufgestellt:
Das Recht auf Zugang zum Glauben (Missionarische Struktur der Kirche)
Das Recht auf Würde und Integrität der Person (Diakonische Struktur der Kirche)
Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Freiheitliche Struktur der Kirche)
Das Recht auf Gewissens- und Meinungsfreiheit (Konziliare Struktur der Kirche)
Das Recht auf Gleichheit (Geschwisterliche Struktur der Kirche)
Das Recht auf Teilhabe an kirchlichen Entscheidungen (Partizipatorische Struktur der Kirche)
Das Recht auf Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit (Kommunikative Struktur der Kirche).9#
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III. Evangelisch-reformierte Kirche

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Einige Landeskirchen haben »Grundrechte« in ihren Verfassungen normiert. Als Beispiel kann vor allem die Evangelisch-reformierte Kirche (Synode evangelisch-reformierter Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland) dienen, die in ihre Verfassung vom 9. Juni 198810# folgenden § 2 aufgenommen hat:
»Grundrechte
(1) Die Botschaft der Heiligen Schrift Alten und Neuen Testaments gilt allen Menschen. Darum hat jeder das Recht, am Gottesdienst und am ganzen Leben der Kirchengemeinde teilzuhaben. Jeder hat das Recht, Glied der Kirchengemeinde zu werden. Niemand darf gegen sein Gewissen zur Mitgliedschaft gezwungen werden.
(2) Als Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern bezeugt die Evangelisch-reformierte Kirche (Synode evangelisch-reformierter Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland) Jesus Christus als Haupt der Kirche. In ihm haben alle Unterschiede der Menschen ihre trennende Bedeutung verloren. Darum darf niemand wegen seiner Herkunft oder seines Geschlechts benachteiligt werden.
(3) Die Evangelisch-reformierte Kirche (Synode evangelisch-reformierter Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland) hat in ihrer Ordnung und in ihrem Handeln die Würde jedes einzelnen Menschen zu achten und für sie einzutreten. Sie sucht das Gespräch mit anderen Menschen und Gruppen, die nach der Wahrheit fragen und Wege der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung gehen wollen.«
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C. Diskriminierungsverbot und Würde des Menschen

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I. Diskriminierungsverbot

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Auf dieser Linie hat der Evangelische Oberkirchenrat in seinem Entwurf vom 14. Februar 2006 für Artikel 2 die folgende Fassung vorgeschlagen:
»(1) In der Gemeinschaft der Getauften, deren Haupt Jesus Christus ist, haben alle Unterschiede der Menschen ihre trennende Bedeutung verloren. Die Landeskirche achtet deshalb in ihren Ordnungen und in ihrem Handeln die Würde jedes einzelnen Menschen als Ebenbild Gottes, unabhängig von seiner Rasse, seinem Geschlecht, seinem sozialen Stand oder einer Behinderung. Zur Verwirklichung der Gleichstellung von Frauen und Männern fördert die Landeskirche in ihren Ämtern und Diensten Frauen unter Berücksichtigung des Vorranges von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung durch gezielte Maßnahmen.
(2) Als missionarische Kirche gewährt die Landeskirche allen Menschen, die danach suchen, den Zugang zum Glauben und lädt sie ein, sich am Gottesdienst und am kirchlichen Leben zu beteiligen.«
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Dieser Vorschlag hat sich aber aus den oben genannten Gründen bei den weiteren Beratungen in dieser Form nicht durchgesetzt. Geblieben ist in Absatz 1 der Hinweis, dass es in der Gemeinschaft der Getauften, deren Haupt Jesus Christus ist, keine trennenden Unterschiede geben darf. Der Sache nach folgt daraus ein innerkirchliches Diskriminierungsverbot, auch wenn die Kriterien dafür, wie sie vom Oberkirchenrat vorgeschlagen waren, in der Grundordnung nicht explizit genannt werden. Im Zusammenhang mit der Diskussion über die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare11# ist aber 2020 in die Lebensordnung Ehe und kirchliche Trauung eine Bestimmung aufgenommen worden die lautet: »Alle Paare, die die Voraussetzungen zur Trauung erfüllen, sind gleichberechtigt zu behandeln, unabhängig vom Geschlecht, der sexuellen Orientierung, der Herkunft, des Alters, einer Behinderung oder anderer Unterscheidungsmerkmale.«12# Das Diskriminierungsverbot hat damit zumindest in der einfachen Gesetzgebung seinen konkreten Niederschlag gefunden.
Als historisches Beispiel einer Diskriminierung innerhalb der Gemeinschaft der Getauften aus rassistischen Gründen kann das Rundschreiben der Kirchenkanzlei der DEK vom 22.12.194113# angesehen werden, in dem die Landeskirchen dazu aufgefordert werden, Vorkehrungen zu treffen »dass die getauften Nichtarier dem kirchlichen Leben der deutschen Gemeinden fernbleiben.«14# Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an die Politik der Rassentrennung, wie sie von südafrikanischen Kirchen in der Zeit der Apartheid zum Teil praktiziert worden ist.15#
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II. Geltungsbereich

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In der Grundordnung geblieben ist das bereits 2001 aufgenommene ausdrückliche Bekenntnis zur Würde jedes einzelnen Menschen im Absatz 2, die durch die Ordnungen der Kirche und ihr Handeln nicht verletzt werden darf. Durch die Trennung in zwei Absätze ist der im Vorschlag des Evangelischen Oberkirchenrates enthalten gewesene Begründungszusammenhang mit der Taufe aufgegeben worden. Auf diese Weise wird deutlich, dass die Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde nicht nur im Blick auf die getauften Kirchenglieder gilt, sondern unabhängig davon für alle Menschen. Von praktischer Relevanz ist das z. B. in kirchlichen Einrichtungen, die nicht nur von getauften Christen in Anspruch genommen werden. Zu denken ist hier vor allem an das strikte Verbot von Gewaltanwendung und sexuellem Missbrauch im Bereich der kirchlichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und im Erziehungswesen.
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III. Inhalt der Menschenwürde

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1. Bestimmung im staatlichen Bereich

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Die Frage, wann der Anspruch auf Achtung der Menschenwürde verletzt ist, ist im staatlichen Bereich in der Auslegung von Art. 1 Abs. 1 GG16# bis heute maßgeblich beeinflusst worden durch die Kommentierung von Günther Dürig aus dem Jahre 1958. Dort heißt es:
»Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zum bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird. Am besten zeigt vielleicht der entsetzlich an technischen Vorstellungen angelehnte Wortschatz unserer materialistischen Zeit, worum es in Art. 1 I geht. Es geht um die Degradierung des Menschen zum Ding, das total ›erfaßt‹, ›abgeschossen‹, ›registriert‹,›liquidiert‹, ›im Gehirn gewaschen‹, ›ersetzt‹, ›eingesetzt‹ und ›ausgesetzt‹ (d.h. vertrieben) werden kann.«17#
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Auf dieser Linie hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der Menschenwürde in ständiger Rechtsprechung als »tragendes Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte« verstanden. »Mit ihm ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt. Menschenwürde in diesem Sinne ist nicht nur die individuelle Würde der jeweiligen Person, sondern die Würde des Menschen als Gattungswesen. Jeder besitzt sie, ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistung und seinen sozialen Status. Sie ist auch dem eigen, der aufgrund seines körperlichen und geistigen Zustandes nicht sinnhaft handeln kann. Selbst durch ›unwürdiges‹ Verhalten geht sie nicht verloren. Sie kann keinem Menschen genommen werden.«18#
Was die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde dann aber konkret bedeutet, lässt sich nach Auffassung des Gerichts »nicht ein für allemal abschließend bestimmen«19#. Wann eine Situation vorliegt, die die Menschenwürde verletzt, ist im Einzelfall mit Blick auf die spezifische Situation zu konkretisieren.20#
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2. Menschenwürde als Ausdruck der Gottesebenbildlichkeit

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Im Absatz 2 wird die Verpflichtung zur Achtung der Menschenwürde in den Zusammenhang gebracht mit dem Menschen als Ebenbild Gottes.21# Zwischen dem säkularen Begriff der Menschenwürde und dem Begriff der Gottesebenbildlichkeit besteht insofern eine inhaltliche Korrespondenz, weil beide einen egalisierenden und universalistischen Grundzug haben und einer »Verzweckung« des Menschen im Sinne der von Dürig geprägten Formel entgegenstehen. Der Begriff der Gottesebenbildlichkeit weist aber gegenüber der säkularen Begründung einen »Überschuss« auf, weil er nicht nur eine schutzwürdige Rechtsstellung erfasst, die in einer unantastbaren Qualität des Menschen gründet, sondern darüber hinaus auf eine Bestimmung des Menschen für sein Leben zielt, die ihm von Gott zugeschrieben ist. Der Mensch handelt dieser Bestimmung als Ebenbild Gottes gemäß, wenn er sich als dessen Repräsentant für Menschenrechte einsetzt und sich zum Anwalt verletzter Würde macht. Über den Wortlaut von Absatz 2 hinaus ergibt sich daraus für die Kirche nicht nur die Verpflichtung, in ihren eigenen Ordnungen und ihrem Handeln die Würde der Menschen nicht zu verletzen, sondern dafür einzustehen, dass der Mensch sich seiner Bestimmung als Ebenbild Gottes entsprechend entfalten kann.
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D. Missionarische Dimension der Kirche

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Im Absatz 3 wird die missionarische Dimension der Kirche angesprochen. Im Kontext mit den beiden vorangegangenen Absätzen wird deutlich, dass es dabei im Sinne des Katalogs von Wolfgang Huber um das Recht auf einen ungehinderten Zugang zum Glauben für jedermann geht, den die Kirche nicht eigenmächtig auf bestimmte Menschengruppen beschränken darf, z. B. zur Abwehr aus rassistischen Gründen, wie es im »Dritten Reich« mit der Verweigerung der Taufe für Juden der Fall war22#, oder auch aus einem falsch verstandenen Respekt vor anderen Kulturen und Religionen.23# Auch hier gilt im Sinne der sechsten These der BTE, dass sich der Auftrag der Kirche, die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten, auf »alles Volk« bezieht. Er darf auch nicht vermischt werden mit anderen Zielen und Zwecken, wie es in der Missionsgeschichte immer wieder geschehen ist und die Missionsarbeit in Misskredit gebracht hat.
»Die Geschichte der Mission war auch eine Geschichte von Schuld und Scheitern, für die Vergebung zu suchen und aus der zu lernen ist. (…) Inzwischen hat sich das Verständnis des missionarischen Auftrages tiefgreifend verändert. Mission behält die Absicht, andere Menschen zu überzeugen, d.h., mitzunehmen auf einen Weg, auf dem die Gewißheit des christlichen Glaubens ihre eigene Gewissheit wird. Aber sie tut dies in Demut und Lernbereitschaft. Eine so verstandene Mission hat nichts mit Indoktrination oder Überwältigung zu tun. Sie ist an der gemeinsamen Frage nach der Wahrheit orientiert. Sie verzichtet aus dem Geist des Evangeliums und der Liebe auf alle massiven oder subtilen Mittel des Zwanges und zielt auf freie Zustimmung. Eine solche Mission ist geprägt vom Respekt vor der Überzeugung der anderen und hat dialogischen Charakter.«24#
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In diesem Sinne hat das Zweite Vatikanische Konzil der römisch-katholischen Kirche in der Erklärung über die Religionsfreiheit »Dignitatis humanae« für die römisch-katholische Kirche erklärt, »daß die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, daß alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von seiten Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlicher Gewalt, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich als einzelner oder in Verbindung mit anderen – innerhalb der gebührenden Grenzen – nach seinem Gewissen zu handeln.«25# Nur unter dieser Voraussetzung der Anerkennung religiöser Freiheit kann heute noch missionarische Arbeit geleistet werden. Dementsprechend formuliert Absatz 3 missionarische Verpflichtungen der Landeskirche als Einladung, sich am Gottesdienst und am kirchlichen Leben zu beteiligen, wobei jede Form von Zwang und jede Ausgrenzung zu vermeiden ist.

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1 ↑ In der Grundordnung war bisher nur in § 12 Abs. 1 der Anspruch der Mitglieder der Pfarrgemeinde verbrieft, »dass ihnen in regelmäßigen öffentlichen Gottesdiensten Gottes Wort verkündigt wird und die Sakramente gereicht werden.«; siehe jetzt Art. 9 Abs. 1 Satz 2.
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2 ↑ Vergl. Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden. Ordentliche Tagung vom 22. bis 26. Oktober 2000, S. 137.
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3 ↑ Siehe: Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden. Ordentliche Tagung vom 25. bis 28. April 2001, S. 48.
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4 ↑ Vergl. dazu: J. Winter (2008): S. 193 ff. (m.w.N.).
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5 ↑ R. Smend (1953/54); siehe dazu auch: O. Friedrich (1978): S. 310 ff.; die römisch-katholische Kirche kennt im Buch II, Titel I – Pflichten und Rechte aller Gläubigen – einen Katalog von Rechten, die aber auch nicht als »Grundrechte« im Sinne des staatlichen Grundrechtsverständnisses angesehen werden können, vergl. dazu: J. Winter (2001): S. 114 ff.
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6 ↑ Vergl. dazu: W. Stolz (1989); H. Ehnes (1997); W. Huber (1997); G. Barwig (2004): S. 315 ff.
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7 ↑ Vergl. dazu: G. Barwig ebd.; H. de Wall / S. Muckel (2010): § 25 Rdnr. 6 f.; H.U. Anke (2016): § 4 Rdnr. 42.
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8 ↑ G. Wendt (1994): S. 42.
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9 ↑ W. Huber (1997): S. 537 ff.
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10 ↑ Abl. EKD 1989, S. 78 ff.
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11 ↑ Vergl. dazu: Verhandlungen der Landessynode in der Evangelischen Landekirche in Baden, Ordentliche Tagung vom 19. bis 23. April 2016, S. 134 ff.
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12 ↑ § 5 Kirchliches Gesetz zur Einführung der Lebensordnung Ehe und kirchliche Trauung vom 21. Oktober 2020, GVBl. 2021, Teil I, S. 35 (RS Baden Nr. 220.300). Vergl. dazu die Vorlage des Landskirchenrates vom 19. Februar 2020, die diese Passage noch nicht enthielt und den Änderungsantrag der Synodalen Aldinger u.a. in Verhandlungen der Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden, 12. Ordentliche Tagung vom 20. bis 21. Oktober 2020, Anlage 3 (S. 78 ff.), sowie den Bericht und Antrag des Hauptausschusses ebd. S. 37 ff.
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13 ↑ Abgeduckt bei: U. Wennemuth (2003): S. 436 f. (Dok. 2055).
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14 ↑ Zur Situation der Judenchristen in Baden vergl.: H. Rückleben (1978).
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15 ↑ Vergl. dazu: T. Böhle (2009): S. 218 ff.; siehe dort auch auf S. 236 den Auszug aus dem Belhar Bekenntnis der Nederduitse Gereformeerde Sendingkerk von 1986, in der in Anlehnung an die BTE die Rassentrennung in der Kirche als Irrlehre verworfen wird.
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16 ↑ Wortlaut: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt«. Zur Bedeutung und Interpretation dieser Bestimmung im staatlichen Bereich vergl.: P. Bahr / M. Heinig (2006); C. Goos (2011); B. Kämper / K. Pfeffer (2019); zur Auseinandersetzung um die Funktion der Garantie der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG vergl. auch: E.-W. Böckenförde (2003).
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17 ↑ G. Dürig (1958): Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 15.
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18 ↑ BVerfGE: S. 87, 209 (228).
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19 ↑ BVerfGE: S. 115, 153.
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21 ↑ In den nachfolgenden Ausführungen übernehme ich Gedanken aus einem unveröffentlichten Vortrag Menschenwürde – Philosophische und theologische Aspekte, den OKR Matthias Kreplin am 20. Januar 2010 bei einer Tagung des Diakonischen Werkes Baden gehalten hat.
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22 ↑ Siehe dazu die Dokumente bei U. Wennemuth (2003): S. 437 ff.
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23 ↑ Vergl. dazu: W. Hüffmeier (1993).
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24 ↑ Kundgebung der EKD-Synode in Leipzig 1999 zum Schwerpunkthema »Reden von Gott in der Welt – Missionarischer Auftrag der Kirche an der Schwelle zum 3. Jahrtausend; abgedruckt in: Das Evangelium unter die Leute bringen, Zum missionarischen Dienst der Kirche in unserem Land (EKD Texte 68), Hannover 2000; siehe auch unter: http://www.ekd.de/synode99/beschluesse_kundgebung.html (26.3.2010).
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25 ↑ Zitiert nach: K. Rahner / H. Vorgrimler (2008): S. 662.