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Ordnung der Anerkennungskommission der Evangelischen Landeskirche in Baden für Verfahren zur Anerkennung erlittenen Unrechts
(AnerkennungOrdnung – AnO)

Vom 15. März 2022 (GVBl. Teil I, Nr. 26, S. 62)

Der Evangelische Oberkirchenrat hat nach Artikel 78 Abs. 2 Nr. 4 GO folgende Ordnung erlassen:
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Präambel

Im Bewusstsein, dass Menschen im Raum der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie durch Beschäftigte und andere Personen sexualisierte Gewalt erlitten haben, übernehmen die evangelische Landeskirche in Baden und das Diakonische Werk der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V. Verantwortung für das Unrecht. Diese Verantwortung wird auch durch die Arbeit der Anerkennungskommission ausgedrückt. Sie soll frei von Weisungen, betroffenenorientiert und durch die Zuerkennung unterstützender Leistungen an Betroffene von sexualisierter Gewalt das erlittene Unrecht anerkennen.
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§ 1
Grundsätze der Arbeit der Anerkennungskommission

( 1 ) Die gemeinsame Anerkennungskommission der Evangelischen Landeskirche in Baden und des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V. zur Gewährung von Leistungen in Anerkennung erlittenen Unrechts an Betroffene sexualisierter Gewalt ist eine unabhängig entscheidende Kommission von Kirche und Diakonie.
( 2 ) Die Anerkennungskommission entscheidet über Anträge auf Leistungen in Anerkennung erlittenen Unrechts. Sie ist in ihrer Arbeit unabhängig und nicht an Weisungen eines kirchenleitenden Organs oder einer anderen Stelle aus Kirche und Diakonie gebunden.
( 3 ) Leistungen in Anerkennung erlittenen Unrechts sind Teil eines individuellen Anerkennungs- und Unterstützungssystems, mit dem die verfasste Kirche und die Diakonie in Baden ihrer institutionellen Verantwortung für die sexualisierte Gewalt gerecht werden möchten, die Menschen in ihren Einrichtungen erlitten haben.
( 4 ) Durch die Arbeit der Anerkennungskommission nehmen die Evangelische Landeskirche in Baden und das Diakonische Werk der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V. das Leid der Betroffenen wahr, schenken ihren Schilderungen Gehör und Glauben und setzen sich so mit ihrem individuellen Erleben und auch ihrer heutigen Lebenssituation auseinander.
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§ 2
Voraussetzungen einer Leistung in Anerkennung erlittenen Unrechts

( 1 ) Leistungen in Anerkennung erlittenen Unrechts können Personen beantragen, die sexualisierte Gewalt erlitten haben, für die ein institutionelles Versagen einer kirchlichen Körperschaft der Evangelischen Landeskirche in Baden oder einer Mitgliedseinrichtung des Diakonischen Werks der evangelischen Landeskirche in Baden e.V. ursächlich war, wenn die Durchsetzung von Ansprüchen auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld gegen die verantwortliche Person nicht mehr möglich oder nicht zumutbar ist.
( 2 ) Ein institutionelles Versagen liegt in der Regel vor, wenn
  1. die sexualisierte Gewalt von Beschäftigten einer kirchlichen Institution in deren räumlichen Verantwortungsbereich verübt wurde, oder
  2. die sexualisierte Gewalt von Beschäftigten einer kirchlichen Institution außerhalb von deren räumlichen Verantwortungsbereich verübt wurde und sie im Rahmen eines Abhängigkeitsverhältnisses verübt wurde, welches im Rahmen der beruflichen Tätigkeit des oder der Beschäftigten begründet wurde, oder
  3. die sexualisierte Gewalt von Ehrenamtlichen der kirchlichen Institution oder von einer der kirchlichen Institution anvertrauten Person verübt wurde und die kirchliche Institution
    • der Tat Vorschub geleistet oder sie begünstigt hat oder
    • keine angemessenen Maßnahmen getroffen hat, um die sexualisierte Gewalt zu verhindern oder ihre Auswirkungen zu verringern.
( 3 ) Eine Leistung in Anerkennung erlittenen Unrechts setzt voraus, dass die Darlegung des Sachverhalts gemäß den Absätzen 1 und 2 plausibel ist. Die Plausibilitätsprüfung obliegt der Anerkennungskommission.
( 4 ) Wenn eine Sachverhaltsdarstellung und Empfehlung der Clearingstelle im Rahmen des Ergänzenden Hilfesystem des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorliegt, kann diese als Plausibilisierung herangezogen werden.
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§ 3
Antragstellung

Die Meldestelle nach § 12 der Gewaltschutzrichtlinie nimmt Anträge von Betroffenen sexualisierter Gewalt auf Leistungen in Anerkennung erlittenen Unrechts entgegen. Die Meldestelle begleitet und unterstützt die antragstellenden Personen auf Wunsch bei der Antragstellung und sorgt für eine Beratung der Anträge in der Anerkennungskommission.
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§ 4
Anerkennungsleistung

( 1 ) Leistungen in Anerkennung erlittenen Unrechts sind freiwillige Leistungen und auf eine Wirkung in der Zukunft ausgerichtet. Sie werden einmalig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gezahlt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
( 2 ) Die Höhe der Leistung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art, der Dauer und den Folgewirkungen der erlittenen sexualisierten Gewalt. Die Höhe der Leistung soll sich zwischen 5.000 Euro und 50.000 Euro bewegen.
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§ 5
Verhältnis zu anderen Leistungen

Leistungen, die die Evangelische Landeskirche in Baden für dasselbe Unrecht aufgrund ihrer Vereinbarung mit dem Bund und ihrer Beteiligung an dem Fonds Sexueller Missbrauch aus dem Ergänzenden Hilfesystem des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gewährt, können auf eine Leistung in Anerkennung erlittenen Unrechts angerechnet werden. Gleiches gilt für Leistungen, die den Betroffenen nach anderen Vorgaben geleistet werden.
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§ 6
Zusammensetzung der Anerkennungskommission

Die Anerkennungskommission besteht aus der Person, die die Meldestelle innehat und maximal sechs weiteren Mitgliedern, die unterschiedliche berufliche und persönliche Erfahrungen in die Kommissionsarbeit einbringen. Es ist anzustreben, dass diese keinen arbeits- oder dienstrechtlichen Bezug zur Evangelischen Landeskirche in Baden oder dem Diakonischen Werk der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V. haben. Alle verfügen über Grundkenntnisse und Erfahrungen im Themenbereich sexualisierter Gewalt. Mindestens ein Mitglied soll über eine traumatherapeutische Qualifikation, die auf einer wissenschaftlichen Hochschulausbildung beruht, verfügen. Ist dieses nicht möglich, kann eine entsprechend qualifizierte Person fallbezogen und beratend hinzugezogen werden.
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§ 7
Berufung der Mitglieder der Anerkennungskommission

Die Mitglieder der Anerkennungskommission werden auf Vorschlag der Evangelischen Landeskirche in Baden und des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V. vom Kollegium im Einvernehmen mit dem Vorstand des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden für die Dauer von fünf Jahren berufen. Wiederberufung ist möglich. Als ehrenamtlich tätige Personen sind sie unabhängig und in ihren Entscheidungen als Kommissionsmitglied nicht an Weisungen eines kirchenleitenden Organs oder einer anderen Stelle aus Kirche oder Diakonie gebunden.
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§ 8
Verfahren der Anerkennungskommission

( 1 ) Das Mitglied, das die Meldestelle innehat, führt die Geschäfte der Kommission. Es lädt die Mitglieder in der Regel zweimal im Jahr zur Beratung über die eingegangenen Anträge ein. Zur Prüfung der Voraussetzungen nach § 2 erhalten die Mitglieder der Kommission Einsicht in alle relevanten Akten und Dokumente.
( 2 ) Die Anerkennungskommission entscheidet nach Mehrheit ihrer Mitglieder auf der Basis des Antrags und gegebenenfalls weiterer Angaben der antragsstellenden Person. Sie soll der antragstellenden Person Gelegenheit geben ihr Anliegen persönlich vorzutragen. Die Antragstellenden erhalten eine schriftliche Mitteilung der Entscheidung.
( 3 ) Betroffene können nach Bekanntgabe der Entscheidung eine abweichende Meinung schriftlich oder mündlich über die Meldestelle einbringen und damit eine Überprüfung der Entscheidung durch die Anerkennungskommission anregen.
( 4 ) Die Verpflichtung der Evangelischen Landeskirche in Baden und des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V., Fälle sexualisierter Gewalt dienst- oder arbeitsrechtlich zu verfolgen und die staatlichen Strafverfolgungsbehörden einzuschalten, bleibt durch die Arbeit der Anerkennungskommission unberührt.
( 5 ) Die Anerkennungskommission kann weitere Regelungen zum Verfahren in einer eigenen Geschäftsordnung beschließen.
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§9
Verpflichtung zur Verschwiegenheit

Die Mitglieder der Anerkennungskommission und die anderen an den Beratungen teilnehmenden Personen sind zur Verschwiegenheit über alle Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen in Ausübung ihrer Tätigkeit bekanntgeworden sind. Dazu sind sie bei der Aufnahme ihrer Tätigkeit auf das Datengeheimnis schriftlich zu verpflichten, soweit sie nicht aufgrund anderer Bestimmungen bereits zur Verschwiegenheit verpflichtet wurden. Das Datengeheimnis besteht auch nach Beendigung ihrer Tätigkeit fort.
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§ 10
Austausch, Dokumentation und Transparenz

( 1 ) Die Anerkennungskommission tauscht sich regelmäßig EKD-weit mit Mitgliedern der Anerkennungskommissionen anderer Landeskirchen aus.
( 2 ) Die Anerkennungskommission dokumentiert die von ihr bearbeiteten Fälle. Insbesondere hält sie in anonymisierter Form die Anzahl der Fälle, die Höhe der Anerkennungsleistungen, den jeweiligen Kontext (Diakonie/Landeskirche; Alter und Geschlecht der Betroffenen; Profession der für die Tat verantwortlichen Personen und deren Geschlecht sowie die Art der Gewalterfahrung) fest, in dem die betroffene Person Unrecht erfahren hat und leitet diese Informationen als Gesamtsummen jährlich auf Anfrage an die EKD weiter, die eine Gesamtdokumentation führt und veröffentlicht.
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§ 11
Inkrafttreten

Diese Ordnung tritt am 1. Mai 2022 in Kraft.